31.10.05

Dornröschenstadt

Ich plädiere dafür, Greifswald den Titel „Dornröschenstadt des Jahres“ zu verleihen. Der Herbstkönig hat so ein goldweißes Märchenlicht verstreut, das Bäume und Häuser verzaubert, die Kirchen sehen aus wie schlafende Schlösser mit ihren mächtigen Backsteintürmen in blasses Gold getaucht, unwirklich wirken sie wie der Wall wie die ganze Stadt in diesem Licht, das zarte Schleier webt, das Gras ist bedeckt mit Teppichen aus Blättergold, fragile Gebilde, das Gold wird bald rosten, zerfallen, vermodern – was SpaziergängerInnen mit Herbstdepression an das eigene kurze Leben erinnert womöglich, sofern sie den Schritt ins unwirkliche Draußen wagen, was nicht sehr wahrscheinlich ist, da die ganze Stadt im Schlaf liegt umsponnen von einem weißgoldnen Netz.

Der Herst spinnt einen
Blättergoldtraum – verfangt
euch nicht in seinem Netz

27.10.05

Haiku oder Cyku

Bericht aus der Dichterinnenwerkstatt

Konnte nicht einschlafen gestern abend wegen dieses miserablen bzw. unvollendeten Haikus von gestern. Arbeitete virtuell weiter. Stelle ausnahmsweise diese virtuelle Arbeit ins Blog. Auch wenn’s mit Ostsee nicht viel zu tun hat, außer dass es dort Herbst ist wie im Rest von Europa auch.

Also von neuem:

Blätter und Regen
in Harmonie mit dem Herbst
exzerpiere ich

oder besser

Regen und Blätter
in Harmonie mit dem Herbst
exzerpiere ich

aber ob das die Deutschte Haikugesellschaft als Haiku akzeptieren würde ;))
Der obige Dreizeiler enthält zwar ausnahmsweise ein Kigo, vielleicht sogar zwei oder drei, wenn man’s genau nimmt, also auf jeden Fall zu viel. Ein Kigo, für diejenigen, die’s interessiert, ist so eine Art Jahreszeiten-Schlüsselwort, das im Haiku zu stehen hat, was im standardisierten Kigo-Inventar in Japan möglicherweise bei entsprechendem kulturellen Wissen leicht zu bewerkstelligen ist, im Deutschen aber: da müssten wir erst eins aufstellen, und das wäre doch auch widersinnig, wollen wir hier doch originelle DichterInnen sein. Wie’s eigentlich überhaupt widersinnig ist, Haiku (laut den literarisch Strengen immer ohne Plural-s, obwohl doch viel schöner mit) zu schreiben mit unsrer Sprache, da doch das 5-7-5 Schema viel besser zu diesen schönen kurzen japanischen Silben passt als zu unseren sperrigen deutschen Wörtern.
Nun ja, die beiden letzten Haiku(s) ensprechen also immerhin dem Silbenschema, verfügen auch immerhin über ein Verb (siehe die strengen Regeln der bereits erwähnten DHG), aber das „ich“! Das hat nun gar nichts im edlen Haiku zu suchen.
Das Wahrhaft Edle ist nur möglich ohne das Ich und Alliterationen sind auch nicht erlaubt.
Dennoch, trotz all dieser Unwägbarkeiten, noch ein Versuch, um endlich einschlafen zu können : so war’s jedenfalls letzte Nacht.

Die vielen Blätter!
Der Herbstwind exzerpiert wie
wie wild bei Tag und Nacht.

Ah, das war’s. Bleibt nur die kleine Ungereimtheit, dass „bei Tag und bei Nacht“ besser klingen würde, aber die fünf Silben! Und die Sache mit den Satzzeichen, aber lassen wir das jetzt.
Dann ist da aber noch die Sache mit dem Sprach- und Wortspiel. Wenn ich mich richtig erinnere, auch nicht erlaubt. Zu sophisticated. Aber das, was Spaß macht!
Ergebnis:
Dies ist wohl kein rechtes Haiku, möglicherweise aber ein Senryu, ganz sicher aber ein hübsches Cyku.

26.10.05

Blätter und Regen

Blätter und Regen
Exzerpieren im Herbst
ist Harmonie

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23.10.05

Lesung ach wenn

Ach wie schön wäre es, vor der Buchmesse die Zeit in Heidelberg zugebracht zu haben oder sie jetzt nach der Buchmesse dort zu verbringen (und während: Frankfurt wie nah!): wieviele Lesungen koreanischer DichterInnen hätte man da hören können. Oder in Berlin oder München oder Hamburg oder was weiß ich.
In Greifswald hingegen - da gibt es keine solchen Gelegenheiten, die man ergreifen könnte. Das ist schlicht und einfach herzergreifend. Traurig. Merkwürdiges Leben da am Rande der Zeit.

Semesteranfang

Vom Semesteranfang überrollt.

Dünngewalzt wie
durchsichtiges Papier
unbeschreiblich

16.10.05

Herbstmusik mit Weidentanz

Der schöne Spätsommer hat ein Ende,
nun beginnt der Ernst des Herbsts.
Kalter Wind treibt die Blätter über die Straßen, es klingt wie Regen, es sind aber nur die Blätter die ihr kratziges Lied singen, ihr schleifendes, ihr raschelndes, ihr wisperndes. Dieses wilde, dieses zarte, dieses traurige Naturlied.
Während drinnen Mozart tönt und Szymanowski, leider auch Offenbach, zirkushaft klingt das, wie der Dirigent ihn die Ouvertüre zu Orpheus spielen lässt, dieses Deutsch-Polnische Muskischulorchester spielt besser und zarter und wilder und differenzierter, wenn der junge Dirigent es dirigiert, ist’s Herr Zarzicki oder Herr Spitz, wir wissen es nicht,wir sind zu spät gekommen, auf Zehenspitzen hineingeschlichen, an diesem kühlen, herbstlichen Sonntagnachmittag.
Der Klang könnte voller zu uns herklingen, ein seltsamer Konzertraum ist das im Pommerschen Landesmuseum, ein Zwischending zwischen gedecktem Lichthof und langgestrecktem Saal, der Klang hat nciht genug Raum scheint es, paradox, obwohl soviel davon da ist; aber am Nachmittag ist der Blick herrlich hinaus auf die Bäume am Wall, direkt hinter den Musikern eine Wand aus Glas, so scheint’s, der Blick direkt hinein ins Grün der Blätter und das Blau des Himmels, das Ohr zum Orchester hin, zu den Geigen, ach die Geigen in diesem Orchester. Sanft erst noch, wie wunderbar, zu hören und zu sehen, die Wolken ziehen am Himmel, die Zweige der Weide schwingen, Wojciech Kilar scheint ihr besonders zu gefallen

Wie die Weide schwingt
bei Kilar – wie still sie steht
wenn die Musik schweigt

wirklich scheint es, als hingen die Zweige ganz still in den Pausen, wenn das Orchester aufhört zu spielen – und als ob sie begänne zu tanzen die Weide wenn die MusikerInnen wieder zu ihren Instrumenten greifen und sie erklingen lassen – schön dieser chaotisch harmonische Klang am Anfang, wenn sie ihre Instrumente stimmen .... und dann die Überraschung: Ravels Pavane pour une infante infunten und Gänsehaut rauf und runter am ganzen Körper entlang, weil’s so schön ist. Nur die Geigen. Gleich am Anfang, unvorstellbar zart, fast wie serielle Musik, wie minimal music, ich wusst gar nicht dass Ravel so modern war, so seiner Zeit voraus, Wiederholung um Wiederholung, polyphon klingt das, wild, also wieder nah am Naturlied – natürlich dirigiert der junge Dirigent – sehr bewegt – schräg (dis)harmonisch, häufige Rhythmuswechsel, ab und an ein kurzes Stück klassischer klingender Harmonie, die sogleich wieder durchbrochen wird, wie das Leben eben (blöder Vergleich vielleicht, aber ist’s nicht so?), Zurückhaltung, wilder Ausbruch, oder heißt das Crescendo hier, wildestes Crescendo und dann wieder schräges Piano und dazu schwingt wie wild die Weide im Wind dazu ziehen die Wolken schnell dazu prickelt die Gänsehaut rauf und runter – und am Ende sind wir froh, das Stück von diesem jungen Orchester gehört zu haben: wenig Routine, viel Emotion, viel Frische und Leichtigkeit – und Können natürlich, Mensch, man glaubt’s nciht, was die schon geübt haben müssen in ihrem jungen Leben – da dran sollte man sich mal ein Beispiel nehmen.
Aber, zurück zur Musik, nach Ravel ist Jaques Offenbach das reinste Privileg, dise übermäßige Harmonie, mir wurd ganz schlecht, aber viele haben mitgeklatscht, also wird es wohl in Ordnung gewesen sein, es soll sich doch jede/r freuen dürfen an so einem schönen Sonntagnachmittag in Greifswald, wo ja sonst nichts los ist also gehen wir dankbar nachhaus.

8.10.05

krah kruh krüh

und wieder punkt 18 uhr: kra kruh krüh - aber nicht viel zu sehen. jedoch die kraniche beim äsen beobachtet: langsames stolzieren oder kopf und hals zum picken der ausgebrachten maiskörner gesenkt - dank der fernrohre der ehrenamtlichen kranichfreunde.
am schönsten ist der an- und abflug. quelle élégance!
die kranich utkieks, kleine hölzerne plattformen oder häuschen mit utkiek (zu empfehlen, da etwas weniger schnakenbisse zu erwarten sind), jedenfalls die utkieks sind schöne menschenkommunikationsplattformen. man unterhält sich über die besten kranichbeobachtungspunkte, die schöne landschaft, begebenheiten.
"jetzt ist es nicht so interessant, aber im frühling müssten Sie mal da sein, wenn sie balzen, dann ist hier was los", man erfährt von jungvögeln, die ihre eltern verlieren und traurig piepsen, von treuenpartnern (monogamie bei den kranichen), die sich verlieren, es ist rührend.
da wird von der nva erzählt und von dem militärischen sperrgebiet, das das mal war hier bei barhöft und hier in ziesewitz (oder so ähnlich), man begegnet dort einer dame, die erinnerungen sucht, man bekommt von einem mann (ostdeutscher) aus Prohn erzählt: "da bin ich mal radfahrern begegnet, die sind von zingst nach stralsund gefahren, die haben mich gefragt: wir haben die ganze zeit keine schornsteine gesehen, wovon leben Sie eigentlich?", der nächste (westdeutscher) erzählt, dass er sich damals nach der wende gleich alles angeschaut hat und wie das jetzt aussieht! "Da sind doch die blühenden Landschaften, und da wird hier immer gejammert" und dann wieder die kraniche, ein dankbarer blick durch's fernrohr, eine dunkle fliegende linie am himmel und dann ist zeit zu gehn, weil die mücken uns fast auffressen, da utkiek mitten in den binsen am bodden, und wir haben jetzt genug binsenweisheiten gehört und kehren keim zum herd .. und kein haiku zum tage da der geist schon friedlich schläft ...

7.10.05

spam ganz unpoetisch

und jetzt mal an alle benjamins und co, die hier dauernd spam kommentare ins blog stellen - lasst das. macht das netz nicht kaputt. ich will nicht wegen euch die kommentare abstellen. sorry, ihr habt nichts vom netz verstanden.

Die Augen der Kräne

Abendhimmel: gestern die grauen Hälse der Kraniche, heute die roten Augen der Kräne. Stadt, Land, Bodden-Schönwetter heute, Boddenblau und Boddensilber, Schwäne im Flug mit sirrenden Schwingen, Liebespaare in den Sandkuhlen, Algen am Strand, Kaffee im Kieferwald.
Sanfter Sonnenglanz von zarter Schönheit, Helligkeit fürs Herz, Segelboote von Licht umströmt, weiche Wege von Kiefernadeln bedeckt, stilles Gehen zwischen den rötlichen Stämmen und draußen das Strahlen am Strand.
Drei Schwäne fliegen gemeinsam übers Wasser, wir hören das Geräusch ihrer Füße, die auf dem Wasserspiegel landen, in kurzen Abständen die Wasseroberfläche berühren, eine kleine Spur ziehen, bis sie stillstehen und das Gefieder auf dem Wasser schwebt. Und nun doch noch, weit oben: ein kleiner Kranichzug.
Der Abend blaut ein, rosalilat, spannt die Seide für die Sonne, glutorangner Ball, der schnell versinkt. Irgendwo da hinterm Horizont. Ganz nah und ganz weit weg. Während die schmale Mondsichel wolkenzart am noch hellen Himmel aufscheint. Und immer noch: kein Wind.

Stilles Gehen im
Sonnenglast – dankbar sind wir
für den Spätsommer

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6.10.05

Bisdorf / Kinnbackenhagen

Unglaublich, die schwarzen Keilzeichen am rosavioletten Abendhimmel, die Linien, die Wellen, die Reihen da oben, und wir staunend im Schilf. Und die Rufe! Von weitem schon waren sie zu hören

schnell weiter auf dem
Pfad durch den Wald – dort hinten
der Ruf der Kraniche

unbeschreiblich. Die Nationalpark- und KranichshüterInnen erzählen uns, dass die Vögel trompeten – andere schreiben von gruuh und graah – aber all dies wird dem Rufen der Kraniche nicht gerecht, auch mir fehlen die Worte

Unirdischer
Gesang der Kraniche –
den Sternen nah

wie sie da fliegen am Abend über das blaue Wasser des Boddens, wie sie weit oben kreisen und dann in langer Linie fliegen wie ein Pfeil mit seiner Spitze, mal sind die einen vorne mal die andern, mal schweben sie, mal schlagen sie in irrem Tempo mit ihren Flügeln auf dem Flug zu den Schlafplätzen, die weit draußen liegen, mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen, aber mit dem Teleskopfernrohr der Nabu-Kranichs-Freunde sieht man sie stehen im flachen Wasser auf ihren hohen schlanken Beinen, da sieht man den Kranichstanz, da kann man’s nicht glauben. Tausende Kraniche rasten da vor dem großen Flug, auf den sie uns nicht mitnehmen, leider.

Der Himmel voller
Linien und Zeichen – Zauber
der Kranichsprache

http://www.kraniche.de

nichts als blauer himmel

schon wieder ein tag voller licht, strahlend blauer himmel, leiser wind, nur der laut brummende verkehr auf der bahnhofsstraße trübt die freude .. ab an's meer!

5.10.05

Die Algenkränze der Seejungfrauen

Die Blätter der Bäume flirren am Morgen im hellen Sonnenlicht, am Boden glänzen glatte Kastanien, in den Straßen die Luft schmeckt wie Champagner oder vielleicht wie Rotkäppchen Sekt, trocken. Die Zeit räkelt sich auf den sonnigen Parkbänken, legt sich vor dem Pommerschen Landesmuseum im geschützten Garten auf die faule Haut, bereitet sich vor auf den Winterschlaf. Aber noch ist goldener Herbst, der Strand von Lubmin schwingt sich in weitem Bogen am Meer entlang wie der Neumond am Himmel. Meer es sieht aus wie Meer in kleinen schäumenden Wellen läuft es an den Strand, ist doch der Bodden nur aber egal, abends geht das Wasser an Land und spaziert über den Sand, leckt die Spuren glatt.

Die Algenkränze
der Seejungfraun am Strand – als
Brautgabe Federn

Blau blau nichts als blau bis die Sonne herabsinkt ganz langsam, bis sie ihr himmlisches Licht in Orangegold verwandelt und

Der Strandhafer glänzt
golden im Abendlicht – das
Boot schläft auf dem Sand

bis der Himmel in rosa und violett sich verströmt, bis er nachtblau, blau die Lampen im Elisenpark auf dem Parkplatz wobei der Elisenpark nichts als ein Einkaufspark überall die schönen unerschwinglichen Waren die

Verdunklungsrollos
in Nachtblau lässt der Abend
herab – wir schlafen ein

2.10.05

Lachen mit Sven Regener

Wer sich mal amüsieren will: Element of Crime - Blog.
Selten so gelacht.

Night Draws Near

Electroniq Iraq berichtet über „Night Draws Near" des amerikanischen Journalisten Anthony Shadid, der ein Buch über das Leben im heutigen Irak geschrieben hat. Der Artikel enthält auch ein Interview mit dem Autor. Erster Eindruck: Anthony Shadid scheint etwas unkritisch der amerikanischen Besatzung gegenüber; andererseits spricht er arabisch und bekam deshalb interessante GesprächspartnerInnen: das junge Mädchen Amal, den irakischen Bildhauer Mohamed Ghanid, den islamischen Mystiker Hazem .... vielleicht hilft’s, den Irak besser zu verstehen.
Genau so gut oder besser vielleicht sind die ehemaligen Warblogs, die man jetzt wohl besser als Weblogs bezeichnet, obwohl der Krieg irgendwie nicht vorbei ist ... interessant dazu auch Iraq Body Count, der weiter die Toten des Krieges und der Kriegsfolgen zählt.