4.5.12

Nordischer Klang: Der Film "Bessere Zeiten"

Wie zu erwarten, wurde doch nicht alles besser, dafür aber vielleicht gut. der nordoststreifen „Bessere Zeiten“ hinterlässt gemischte Gefühle. Der schwedische Film von Pernilla August soll autobiographische Züge tragen, was vielleicht die Intensität des Films erklärt. Doch worum geht es? Leena, ihr Mann Johann und ihre Töchter sind eine so glückliche Familie, dass dem Zuschauer das überhöhte Familienidyll ein wenig auf die Nerven fallen kann. Leena also ist glücklich. Wie auch nicht, wenn man einen so attraktiven, liebevollen, immer verständisvollen Ehemann, so liebe Töchter und eine so schöne Wohnung hat? Da allerdings kommt ein verhängnisvoller Anruf. Leenas Mutter, von der restlichen glücklichen Familie für tot gehalten, liegt nun tatsächlich im Sterben und will ihre Tochter noch einmal sehen. Der unheilschwangere Gesichtsausdruck, der die Protagonistin für den restlichen Film praktisch nicht mehr verlässt, sagt den Zuschauern sofort: Hier lauert ein Drama. Leena hat ihre Mutter, ihre Vergangenheit offensichtlich verdrängt, verleugnet – und wird jetzt von ihr eingeholt. Denn ihr Mann Johann lässt nicht zu , dass sie weiter verdrängt, sondern organisiert kurzerhand die Fahrt zu sterbenden Mutter, ohne zu wissen, in welche Abgründe ihres früheren Lebens, in welche Erinnerungen Leena nun eintauchen muss.
Allmählich erschließt sich auch dem Zuschauer das Bild der Vergangenheit. Die Eltern, Finnen, sind mit ihrer Familie (die Tocher Leena, der kleinere Sohn, dessen Namen uns jetzt entfallen ist) nach Schweden gekommen, als Gastarbeiter und Putzfrau, sind glücklich über die neue Wohnung in einem Wohnblock. Aber es gelingt ihnen nicht, Fuß zu fassen, der Vater scheint die Arbeit zu verlieren oder gar nicht erst gefunden zu haben, klar wird das alles nicht. Der Film hat etwas Kammerspielartiges, nur die Beziehung zwischen den Menschen ist wichtig, der enge Lebensraum, nur das Scheitern. Vater und Mutter werden anfangs so liebevoll gezeigt werden, wenn auch mit ihren Schwächen, vor allem auch der Vater, der seine Tochter so liebevoll in den Schlaf singt, dass man schon versucht ist, Schreckliches zu vermuten, aber nein, noch ist alles gut.  Durch das Unglück (keine Stelle, kein Geld, Diskriminierung, was noch? das wird ausgelassen) mutieren die liebevollen Eltern auffällig schnell zu alkoholisierten Monstern, die saufen, rauchen, das Leben nicht mehr bewältigen, die Kinder vernachlässigen und misshandeln, auch dies wird nur einmal gezeigt, ein anderes Mal sieht man einen Krankenwagen und vermutet. Das kleine Mädchen, Leena, versucht, all das auszuhalten, für den kleinen Bruder zu sorgen und sich mit der Leidenschaft des Schwimmens buchstäblich über Wasser zu halten.
Gegenwart und Rückblenden, die sehr schön und harmonisch ineinander geschnitten sind, und das ist eine der großen Stärken des Films, wechseln sich ab und versuchen, die Zuschauer in die Gefühlswelt des Mädchens hineinzuziehen.
Durchaus anrührend ist das Schicksal dieser Familie, und die Eltern, oben ziemlich übertrieben als Monster bezeichnet, werden nicht verurteilt, sind vielleicht selbst Opfer, das harte Leben und der Alkohol ruinieren sie nur, und der Film zeigt zwar die ganze Schrecklichkeit, lässt aber auch Vieles im Unklaren  – und das ist gut so. Das Leid und die Tapferkeit der kleinen Leena, die einen der erwachsenen Leena sehr ähnlichen Gesichtsausdruck zeigt, gehen zu Herzen, ohne dass der Film auf die Tränendrüse drücken würde, dieser etwas klischeehafte Ausdruck sei hier erlaubt.
Der Film ist also durchaus sehenswert, aber er zeigt auch Schwächen. Eine davon ist, dass der Übergang von den liebevollen Eltern zu den alkoholisierten Verzweifelten sich nicht überzeugend entwickelt. Der Schluss greift die überhöhte Familienromantik wieder auf, das ist ein bisschen zu viel "Feel Good Movie". Das Problem ist zudem, dass die Personen, ja, es ist schwer zu fassen, irgendwie alle überzeichnet sind. Der Ehemann ist zu schön und zu gut, die alte Mutter im Krankenhaus (die im Übrigen die Rolle der jüngeren Mutter phantastisch und sehr überzeugend spielt) ist zu einer alten Indianerin mutiert und Leena, ja das ist ein besonderes Kapitel. Unserer bescheidenen Meinung nach ist Noomi Rapace, der „Millenium Star“, das Hauptproblem dieses Films. Mag sein, dass sie eine Idealbesetzung für Lisbeth Salander war (wir haben den Film nicht gesehen und werden ihn auch nicht sehen). Aber für die Rolle der Leena hätten wir uns ein ausdrucksvolleres, differenzierteres Spiel gewünscht. Ihr Gesichtsausdruck ändert sich den ganzen Film über kaum, sie geht mit steinernem Gesicht durch den Film und man nimmt ihr nicht ab, dass sie normalerweise eine wunderbare, gefühlvolle, glückliche Familienmutter sein soll. Ihr Gesicht zeigt selten eine Regung, ja gut, man ahnt, was in ihr vorgeht, aber dieses harte Gesicht, diese Reglosigkeit, dieser ununterbrochene wilde Blick kann, und das sagen wir mit Sicherheit, bei einigen Zuschauern zu einem gewissen Verdruss führen. Andererseits beeindruckt  Rapace durch ihre unglaubliche Intensität.
Jede Meinung ist letztendlich subjektiv, dieser Film hat dennoch seine Schwächen, aber offensichtlich auch Stärken, denn weshalb verbringt man 45 Minuten, um eine Rezension über diesen Film zu schreiben? Die im Übrigen viel zu lang für einen Blogeintrag ist ;) Am Besten ist es also wohl, sich den Film selbst mit Freunden anzuschauen und danach bei einem Gläschen – na ja, vielleicht lieber keinen Alkohol - über den Film zu unterhalten und sich vielleicht dabei in die Haare zu geraten – passend zu diesem Film.

P.S. Nach diesem Film ist es eine Erleichterung, in eine schöne Mainacht hinauszugehen und den Duft des Frühlings zu atmen! Der liegt auf einmal über der ganzen Stadt.
P.P.S. Wir nehmen an, im Spiritus hat man sich heute Abend mehr amüsiert