10.8.13

66. Filmfestival Locarno: Vijay and I. Mit Moritz Bleibtreu

Etwas verspätet gepostet, wie auch die beiden vorherigen Einträge …. Der Film „Vijay and I“ von Sam Garbarski hinterlässt einen etwas zwiespältigen Eindruck. Einerseits ist er eine erfrischende Komödie, andererseits hätte man durchaus etwas tiefer ins Thema des Films einsteigen können: Kann ich ein/e andere/r werden als der oder die ich bin?
Moritz Bleibtreu, auf den der Film ganz und gar und vielleicht zu sehr zugeschnitten ist, spielt den mehr oder weniger erfolglosen Schauspieler Will, der es nur zur Hautprolle in einer Kinderserie gebracht hat, einem glücklosen grünen Kaninchen, dem „Bad Luck Bunny“. Im Kostüm dieses Kaninchens macht Bleibtreu eine wirklich komische Figur. An seinem 40. Geburtstag, den alle vergessen zu haben scheinen, ist er von seiner Rolle und seinem Leben endgültig so genervt, dass er aus dem Set davonläuft, mit knallenden Türen und im grünen Kaninchenkostüm. Mit diesem steigt er in einer urkomischen Szene schwerfällig ins Auto, schafft es, dass man ihm unterwegs fast unter dem grünnen Kaninchenhintern weg das Auto klaut  – und hier beginnt die klassische Verwechslungskomödie. Der Autodieb verunglückt, Auto und Fahrer verbrennen, Will gilt als tot – und klärt das Missverständnis nicht auf. Er beschließt, verkleidet zu seiner eigenen Beerdigung zu gehen, um wirklich zu erfahren, was seine Mitmenschen über ihn denken. Aber erfährt man es wirklich?
Wie die Filmbeschreibung im Programm verrät, scheint niemand Will zu mögen, nicht einmal seine Tochter und seine Frau. Eine gute Gelegenheit also für den Protagonisten, nicht nur zu erfahren – vielleicht – was die anderen von ihm halten, sondern auch ein anderer zu werden, da mit seiner „wirklichen“ Identität weder er noch seine Umwelt zufrieden zu sein scheint.

Wills indischer Freund, ein Restaurantbesitzer (genial und sehr komisch gespielt von Danny Pudi), hilft ihm, sich als Sikh zu verkleiden, und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Ein guter Plot bis hier, ein rasanter Komödienbeginn, und doch wird hier schon die Schwäche des Films sichtbar: auf die ZuschauerInnen wirkt es zu Filmbeginn, an Wills Geburtstag, weniger so, als sei Will ein unangenehmer und unliebenswerter Typ, sondern ganz im Gegenteil. Es sieht so aus, als sei er der Liebenswerte (wenn auch nicht erfolgreich); Seine Famile und die Leute am Filmset (wo die Kaninchen-Filme gedreht werden) hingegen wirken derart herzlos, dass man als Zuschauerin nicht umhin kann, Mitleid mit Will zu empfinden. Es fehlt also in gewisser Hinsicht die Motivation für die Haupthandlung.
Später wird zwar klar, weshalb sich seine Umgebung so kühl benimmt: Niemand hat seinen Geburtstag vergessen, sondern seine motzige Tochter hat eine Überraschungsparty geplant. Dennoch: dieser Anfang ist irreführend und für den Zuschauer ist nicht nachvollziehbar, was an Will so furchtbar gewesen sein soll, dass niemand in seiner Umgebung ihn zu mögen scheint und er lieber eine neue Identität annehmen möchte.
Diese Schwäche zieht sich durch den ganzen Film. Auf der anderen Seite gibt es viele komische Szenen, und der Film bereitet Vergnügen. Sehr lustig die Beerdigung und die kleinen Reden, die über den vermeintlich Toten gehalten werden – aber auch hier ein wenig Enttäuschung. Der Film macht zu wenig aus der neuen Sikh-Identität des Helden. Und der Held erfährt nicht wirklich viel, außer dass niemand ihn mag und er als  schlechter, egozentrischer Liebhaber galt.
Da alles im Grunde auf den Sex reduziert wird, kann es nicht ausbleiben, dass Wills Frau sich vom Sikh sexuell angezogen fühlt, dass sie sich schließlich in ihn verliebt und dass das Kamasutra dabei eine wichtige Rolle spielt, obwohl man sich fragen darf, was das Kamasutra genau mit der kulturellen Identität der Sikhs zu tun hat.
Moritz Bleibtreu spielt seine Kaninchen- und Sikh-Rollen überzeugend – als eleganten, höflichen Sikh erkennt man ihn nach dem Bad Luck Bunny-Will kaum wieder, so gut ist die Maske, auch sein Spiel, er wirkt in seiner Sikh-Würde sehr authentisch. Aber es fehlt der Rolle vielleicht an einer tieferen Dimension, was aber nicht an Bleibtreu, sondern am Drehbuch liegen mag. Die Sache mit dem Sikh scheint eher ein Gag, aus dem die kulturellen Hintergründe weitgehend ausgespart bleiben. Hier hätten wir mehr erwartet. Aber es ist ja eine Komödie, wir sollten nicht zu viel verlangen. In der übrigens der weiter oben erwähnte Danny Pudi seine Rolle ausgezeichnet und unglaublich witzig verkörpert. Über die Frauenrollen kann man sich streiten; dass sie zu klischeehaft sind, darf man aber wohl behaupten.
Wir wollen hier nicht zu viel verraten, nur dazu raten, sich den Film selber anzuschauen, da er sehr erheiternd ist. Andererseits sollte man sich von dieser Komödie nicht zu viel erwarten. Einen philosophischen oder psychologischen Hintergrund erwartet man vergebens. Als leichte Sommerkomödie jedoch ist der Film empfehlenswert. Er macht auf jeden Fall Spaß. Und in Zukunft, das nehmen wir uns vor, wollen wir uns kürzer fassen.

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